Trotz des sich fortsetzenden Wandels an den Finanz- und Kapitalmärkten, fokussieren sich viele Unternehmen bei der Kapitalbeschaffung weiterhin auf den klas­sischen Kredit. Oft folgen sie der Logik des altbekannten Leverage Effekts, nach dem es sich so lange lohnt, Fremdkapital statt Eigenkapital aufzunehmen, solange die Gesamtkapitalrentabilität höher ist als der Fremdkapitalzins. Entsprechend liegt die Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen immer noch deutlich niedriger als im internationalen Vergleich. Der Pferdefuß dabei: Dadurch verteuert sich das Fremdkapital quasi automatisch, denn Kredit­zinsen bestimmen sich in Abhängigkeit der Bonität. Als Folge dessen schmälert die Zinsbelas­tung das dann Unternehmensbudget.

Inzwischen gewinnen alternative Finanzierungsformen über Wertpa­piere, wie Aktien und Anleihen, aber zunehmend an Bedeutung. Sie tragen dazu bei, die Eigenkapitalbasis von Unternehmen aufzubauen bzw. zu stärken. Und eine (deutliche) Verbesserung der Eigenkapitalausstattung stärkt die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an sich ändernde Umweltbedingungen. Mit zu den attraktivsten Möglichkeiten für Unternehmen ihren Kapitalbedarf zu decken, gleichzeitig aber auch mit diversen Herausforderungen verbunden, zählt der Börsengang.

Im Rahmen der Planung eines Börsengangs, auch Initial Public Offering oder kurz IPO genannt, stellen sich für das betreffende Unternehmen viele Fragen. Eine der wichtigsten dabei ist: Wie kann ich sicherstellen, dass mein Unternehmen für den Börsengang geeignet ist? Oder anders ausgedrückt: Was muss ich beachten und in welchen Bereichen ist mein Unternehmen bereits gut aufgestellt bzw. in welchen erfüllt es die Anforderungen an ein kapitalmarktorientiertes Unternehmen noch nicht?

Und damit sind wir bei der Börsenreife. Ganz allgemein versteht man unter der Börsenreife die Bereitschaft und die Fähigkeit eines Unternehmens alle Anforderungen, die mit einem Börsengang verbunden sind, seien es gesetzliche, wirtschaftliche oder organisatorische, zu erfüllen. Dabei unterscheidet man zwischen der gesetzlich-formalen Börsenreife, auch Börsenfähigkeit genannt, der wirtschaftlichen (oder auch materiellen) Börsenreife, der inneren Börsenreife sowie der Börsenreife des Managements.

Rechtliche bzw. formal-gesetzliche Börsenreife (Börsenfähigkeit)

Die wesentlichen Kriterien für die rechtliche Börsenreife lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Börsenfähige Rechtsform
  • Etablierung eines Aufsichtsrats
  • Strukturierung des Eigenkapitals hinsichtlich der Höhe und der Aufteilung in Grundkapital und Rücklagen
  • Gestaltung einer börsenfähigen Satzung
  • Verabschiedung einer Geschäftsordnung, des Vorstandes und des Aufsichtsrats
  • Überprüfung von Vereinbarungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern (z. B. Mietverträge), ob sie einem Fremdvergleich standhalten

Hinzu kommen diese weiteren, einzelfallabhängigen, aber meist notwendigen Voraussetzungen:

  • Einbringung aller betriebsnotwendigen Aktiva in die Gesellschaft, die an die Börse gehen soll
  • Einführung eines Risikomanagement-Systems
  • Vorlage von testieren (Konzern-) Jahresabschlüssen nach einer der anerkannten Rechnungslegungsnormen (u.a. abhängig von der Entscheidung für ein Börsensegment)

Darüber hinaus gibt es börsensegmentspezifische Anforderungen, die sich in den Zulassungsvoraussetzungen und den Folgepflichten niederschlagen.

Wirtschaftliche bzw. materielle Börsenreife

Diese ist unabdingbar, um bei Investoren Interesse zur Zeichnung der Aktie hervorzurufen. Man bezeichnet sie daher manchmal auch als Börsenattraktivität. Zur Erreichung der wirtschaftlichen Börsenreife muss ein Unternehmen eine wirtschaftlich nachhaltige oder zumindest absehbare Ertragskraft aufbauen und organisatorisch die geeigneten Reporting-Standards einführen und die entsprechenden Controlling-Instrumente schaffen.

Auch hängt Investoreninteresse oft von deren Präferenzen sowie von branchenspezifischen Besonderheiten ab. Zentrales Kriterium ist die kommunizierbare Equity Story, d. h. die Argumente, die für ein Investment in die Aktien des Unternehmens sprechen. Nur wenn genügend Investoren die Equity Story „sexy“ finden, wird das Initial Public Offering erfolgreich sein Es gibt daher keine umfassende “Liste”, die man abarbeiten könnte. Zu den Voraussetzungen gehören jedoch in aller Regel die folgenden:

  • Ein vollständiges und kompetentes Management-TeamInvestoren lieben ein überzeugendes Management-Team, d.h. Persönlichkeiten mit einem Track Record und möglichst keine „One-Man- Show“;
  • Das GeschäftsmodellVorteilhaft ist hier ein transparentes und bewährtes Business-Modell mit einer klaren Unternehmensstrategie sowie eine attraktive Equity Story mit kommunizierbaren Alleinstellungsmerkmalen;
  • Das MarktumfeldHier muss eine Wachstumsstory ersichtlich sein, d.h. eine Skalierbarkeit des Geschäftsmodells (natürlich nach oben) muss gegeben sein;
  • Die Positionierung im WettbewerbsumfeldInvestoren schätzen stabile Erträge bzw. einen klaren „Path to Profitability“, d.h. sie wünschen sich einen nachgewiesener Track Record, nicht ein “Konzept-IPO”;
  • Die ZukunftsstrategiePlan- und Berechenbarkeit sind Schlüsselkriterien. Daher fordern Investoren meist ein klares Commitment von Management und Eigentümern zum Unternehmen;
  • Die Financials (finanzielle Schlüsseldaten)Neben realistischen Bewertungsvorstellungen des Unternehmens zählen hierzu für Investoren auch Halteverpflichtungen für Aktien nach dem Börsengang sowie vertretbare Umplatzierungsgrößen beim Börsengang.

Die Emissions-Praxis

Die Schwierigkeit besteht in der Praxis darin, dass mit Ausnahme weniger gesetzlicher Vorgaben, den Regelungen in den Börsenordnungen und den AGB der einzelnen Börsen keine allgemein anerkannten, abschließend definierter Kriterienkatalog existiert, mit dem man die Börsenreife eines Unternehmens eindeutig beurteilen kann. Tatsächlich werden die Kriterien hauptsächlich vom Börsenumfeld sowie von den Präferenzen der Anleger, der Financial Community und den Investmentbanken bestimmt.

Somit ist eine Beurteilung der Börsenreife eines Unternehmens schwierig und kann sich stets ändern. Aufgabe eines professionellen Managements ist es daher, die Börsenreife seines Unternehmens frühzeitig und systematisch zu überprüfen, denn eine im Rahmen der Financial Due Diligence festgestellte, unzureichende Börsenreife bedeutet, dass das Emissionsstanding des Unternehmens schweren Schaden nimmt. Dies hat dann meist zur Folge, dass ein vorgesehener, manchmal sogar bereits angekündigter Börsengang verschoben werden muss. Erfahren Sie hier mehr darüber als KMU erfolgreich an die Börse gehen.