Der jüngste Aufschwung bei Börsengängen in Großbritannien und Europa hat zu einem Anstieg der Prävalenz von sog. Cornerstone-Investoren geführt, die schon seit vielen Jahren aus einem wichtigen Merkmal der asiatischen Kapitalmärkte bestehen. Zu den Emittenten, die bereits in jüngster Zeit Börsengänge in Großbritannien ankündigten und von Cornerstone-Investoren unterstützt wurden, gehören The Hut Group, Trainline, Trustpilot, Network International, Moonpig, Dr. Martens sowie die Auction Technology Group.

 

Durch die Beteiligung von Cornerstone-Investoren kann ein Emittent seinem Börsengang viel Dynamik sowie eine positive Stimmung verleihen und gleichzeitig das Risiko des IPO-Prozesses verringern. Es gibt zwar auch Nachteile bei der Beteiligung von Cornerstone-Investoren, insbesondere wenn diese eine allzu große Beteiligung erhalten, aber in den meisten Fällen überwiegen die positiven Aspekte.

 

Während makroökonomische Faktoren dazu beitragen, diesen aufkommenden Trend zu verstärken, ist davon auszugehen, dass die Vorteile von Cornerstone-Investoren für Emittenten und Underwritern generell für den britischen und europäischen Markt zunehmend bekannt und zu einem festen Bestandteil des IPO-Marktes werden.

 

Was sind Cornerstone-Investoren?

Im Kontext eines Börsengangs ist ein Cornerstone-Investor ein Investor (in der Regel eine große Institution), der sich dazu bereit erklärt, einen Mindestanteil an Wertpapieren im Rahmen des IPOs eines Unternehmens bereits im Vorfeld zu zeichnen und respektiv zu kaufen.

Die Höhe des prozentualen Anteils hängt von verschiedenen Faktoren ab (u. a. von der Höhe der Nachfrage, makroökonomischen Faktoren und der erwarteten Liquidität nach der Zulassung). In der Regel strebt der Underwriter jedoch an, etwa 25 bis 40 % des Gesamtangebots bei Cornerstone-Investoren zu platzieren, wie die folgenden Beispiele von Börsengängen der letzten Zeit zeigen:

 

 

 

Wie funktioniert das in der Praxis?

Bevor das Managementteam des Emittenten mit der “Investoren-Roadshow” und der Veröffentlichung des Prospekts beginnt, normalerweise etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Emittent sein Registrierungsdokument veröffentlicht, trifft sich das Management mit potenziellen Cornerstone-Investoren und veranstaltet eine “Deep-Dive”-Präsentation, um den potenziellen Investoren das Geschäftsmodell des Emittenten näherzubringen.

Im Anschluss daran besprechen der Emittent und häufig auch der oder die Großaktionäre die geplante Beteiligung von Cornerstone-Investoren mit ihren Finanzberatern und den Konsortialbanken, die das IPO-Angebot koordinieren. Sobald die Investoren ausgewählt wurden, wird eine ” Cornerstone-Investment-Vereinbarung”, verhandelt und unterzeichnet, die den Investor dazu verpflichtet, sich zu einer Mindestzuteilung im Bookbuilding-Prozess zu verpflichten, sowie gängige Zusicherungen und Garantien zugunsten des Emittenten und des Underwriters abzugeben.

Details zu Cornerstone-Investoren müssen im Emissionsprospekt offengelegt werden, da die Cornerstone-Vereinbarung einen wesentlichen Vertrag darstellt. Üblicherweise werden die Namen der Cornerstone-Investoren und die vom Emittenten eingegangenen Verpflichtungen in den RNS-Mitteilungen über die Börsennotierung angegeben, was im Allgemeinen zum Zweck der Gewinnung von Cornerstone-Investoren gehört.

 

 

Worin liegen die Vorteile von Cornerstone-Investoren?

 

 

  • Positive Dynamik und PR

Einer der wichtigsten Pluspunkte bei der Einbindung von Cornerstone-Investoren ist das Demonstrieren und Vermitteln einer positiven Grundstimmung für ein IPO. Das gilt umso mehr, wenn ein Emittent in der Lage war, hochkarätige Investoren zu gewinnen, die er in seinen Veröffentlichungen zum Börsengang publik machen wird. Für andere potenzielle Investoren auf dem breiteren Markt kann die Tatsache, dass sich renommierte Investoren zu Investitionen für festgelegte Kontingente verpflichtet haben, eine Bestätigung darstellen. Ein Emittent kann auch in der Lage sein, eine zusätzliche PR-Berichterstattung zu generieren, indem er sich wichtige Cornerstone-Investitionen sichert.

 

  • Reduziertes Kurs- und Ausführungsrisiko

Für einen Emittenten oder einen verkaufsbereiten Anteilsinhaber (z. B. einen Gründer oder ein ausscheidendes Private-Equity-Haus) bieten Cornerstone-Investoren eine größere Gewähr für einen erfolgreichen Börsengang. Verbindliche Mindestanteile gewährleisten, dass ein Großteil des Emissionsvolumens schon früh im Verfahren abgesichert ist, was das Risiko des Bookbuildings im breiteren Markt verringert. Und indem der Kurs bereits zu einem frühen Zeitpunkt festgelegt wird, kann der Emittent den Wert “festschreiben” und durch den Halo-Effekt die Aufmerksamkeit anderer potenzieller Investoren auf sich ziehen.

  • Engere Zusammenarbeit mit interessierten Investoren

Eine Begleiterscheinung der wachsenden Zahl von Cornerstone-Investoren ist die Etablierung der “Deep-Dive”-Präsentation. Wie die Bezeichnung bereits vermuten lässt, liefert diese Präsentation in der Regel mehr Detailinformationen zum Emittenten als eine klassische Präsentationsveranstaltung der Geschäftsführung und verschafft institutionellen Investoren frühzeitig Zugang zu den Führungsteams. Während alle wesentlichen Informationen, die in diesen Meetings vermittelt werden, zu gegebener Zeit im Prospekt offengelegt werden müssen, liegt der eigentliche Vorteil dieser Meetings sowohl für einen Emittenten als auch für seine Direktoren darin, dass sie eine gute Gelegenheit bieten, mit erfahrenen potenziellen Investoren ins Gespräch zu kommen.

Selbst wenn sie letztendlich nicht als Cornerstone-Investor ausgewählt werden, hilft dieses frühe Engagement dem Management bei der Optimierung seiner Verkaufsstrategie und bietet eine gute Basis für ein Engagement mit den Aktionären nach der Notierung, sofern der Investor auch am Bookbuilding teilnimmt.

 

 

Wie sehen die Risiken beim Einsatz von Cornerstone-Investoren aus?

 

  • Verminderte Liquidität

Auch wenn sich der Aktienkurs eines Unternehmens nach der Börsennotierung durch eine relative Knappheit an Aktien verbessert, werden Cornerstone-Investoren eine beträchtliche Beteiligung an einem Unternehmen erwerben, wodurch der Prozentsatz an Eigenkapital, der für andere potenzielle Investoren zugänglich ist, sinkt und sich der Aktionärskreis des Unternehmens nach der Börsennotierung möglicherweise verkleinert.

Größere Investoren dürften zudem nur dann an der Teilnahme an einem Bookbuild interessiert sein, wenn sie eine bestimmte Größenordnung an Anteilen erwerben können. Daher muss der Emittent in enger Absprache mit seinen Beratern sorgfältig abwägen, wie hoch die Grundbeteiligung sein soll.

 

  • Möglicher Einfluss auf die Kursentwicklung

Das Cornerstone-Verfahren findet in der Regel nach der Veröffentlichung eines Registrierungsdokuments und vor der Veröffentlichung eines Emissionsprospekts sowie folglich vor der Kursfestsetzung des IPOs statt. Viele Cornerstone-Investoren sind nur dann bereit, sich zu einer Mindestzuteilung auf Basis einer konkreten Bewertungsspanne oder bis zu einer bestimmten Maximalbewertung zu verpflichten, deren Einzelheiten im Prospekt in Form eines Vertrages offengelegt werden müssen.

Nach der derzeitigen Marktpraxis in Großbritannien und Europa ist es unwahrscheinlich, dass allgemeine Anleger, die am Bookbuilding teilnehmen, einen höheren Angebotspreis akzeptieren als den, der den Cornerstone-Anlegern gewährt wird. Es ist daher wichtig, die Kursgestaltung bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens, noch vor der Roadshow des Managements und dem anschließenden Preis-Feedback, sorgfältig zu prüfen, da es sehr schwierig ist, den Platzierungspreis nachträglich zu erhöhen, wenn sich die Nachfrage auf dem Markt höher als erwartet erweist.

 

  • Die falschen Cornerstone-Investoren

 

Die Entscheidung für einen Cornerstone Investor bei einem IPO bedeutet, dass die Geschäftsführer sich die Zeit nehmen müssen, um die Gründe für das Interesse eines potenziellen Investors an dem Unternehmen und seine Investitionsziele zu analysieren.

Sperrfristen (Lock-ins), bei denen neue Investoren ihre Aktien für einen festgelegten Zeitraum nach dem IPO nicht verkaufen dürfen, sind auf dem britischen und europäischen Cornerstone-Investmentmarkt nicht üblich, obwohl sie auf den asiatischen Kapitalmärkten an der Tagesordnung sind. Die Beweggründe eines potenziellen Cornerstone-Investors sollten sorgfältig mit dem Beratungsteam des Emittenten abgewogen werden, welcher in der Lage ist, einen breiteren Überblick über die allgemeine Anleger- und Marktstimmung zu geben.

 

 

Wie verbreitet sind sie in Großbritannien?

Historisch gesehen sind Cornerstone-Investitionen Konzepte, die sich in Großbritannien und auf dem europäischen Markt nur schwer durchsetzen konnten. In den letzten fünf Jahren war bei nur 13 von über 130 IPOs am britischen Börsenmarkt ein Cornerstone-Investor beteiligt.

Allerdings gab es in letzter Zeit einen deutlichen Zuwachs, denn allein in den letzten 12 Monaten haben acht Erstemissionen auf Cornerstone-Investoren vertraut, darunter bekannte Namen wie Trustpilot, The Hut Group, Moonpig und Dr. Martens.

 

Warum dieser Trend im Kommen ist?

Über das wachsende Marktbewusstsein für die Vorteile von Cornerstone-Investments hinaus, finden sich mehrere Faktoren, die diese Entwicklung fördern:

 

  • Ein wesentlicher Teil des Anstiegs von Cornerstone-Investitionen ist auf die Änderungen im Conduct of Business Sourcebook (COBS) der FCA im Jahr 2018 zurückzuführen, die darauf abzielten, potenziellen Investoren zu einem früheren Zeitpunkt im IPO-Prozess zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Das Ergebnis dieser Änderungen war, dass Registrierungsdokumente schnell zu einem Merkmal britischer Börsengänge geworden sind, wodurch sich der Zeitplan zwischen dem Bekanntwerden eines potenziellen Börsengangs durch den Markt und der tatsächlichen Zulassung eines Unternehmens zum Markt verlängert hat. Dies hatte den doppelten Effekt, dass die Emittenten dazu ermutigt wurden, durch den Einsatz von Cornerstone-Investoren mehr Sicherheit zu erlangen (um die erhöhte Unsicherheit, die sich aus dem längeren öffentlichen Zeitplan ergibt, zu kompensieren), während gleichzeitig den Investoren die Möglichkeit geboten wurde, auf der Grundlage eines genehmigten Registrierungsdokuments früher im Prozess das Interesse an den Emittenten zu bekunden und dadurch ihre Zuteilung bei einem beliebten Börsengang “festzuschreiben”.
  • Das Jahr 2021 verspricht ein Rekord-Jahr für IPOs in Großbritannien und Europa zu werden, insbesondere für Technologieunternehmen. In einem derart überfüllten Markt können ein oder mehrere” Vorzeige” Cornerstone-Investoren einem Emittenten dabei helfen, sich zu differenzieren und zusätzliche PR-Präsenz zu generieren.
  • Auf der anderen Seite sind viele Investoren verständlicherweise vorsichtig, wenn es darum geht, in ein neu gelistetes Unternehmen zu investieren, speziell während sich die Welt immer noch mitten in der COVID-19-Pandemie befindet (auch wenn sich am Horizont ein Hauch von Normalität abzeichnet). Der Vorteil eines nachweislichen Rückhalts durch einen großen Grundinvestor kann dazu beitragen, dass Vertrauen möglicher Kapitalgeber zu stärken und damit die Fähigkeit eines Emittenten zu unterstützen, einen erfolgreichen Börsengang durchzuführen.

 

 

Wie wird die Entwicklung weitergehen?

Kurz- bis mittelfristig ist zu erwarten, dass der Anteil von Cornerstone-Investoren bei IPOs in Großbritannien und Europa weiter zunehmen wird, was zum großen Teil auf das gestiegene Bewusstsein und die Tatsache zurückzuführen ist, dass ein neues Börsenprodukt sich in einem überfüllten IPO-Markt differenzieren muss.

 

Bisher ist der Trend zu Cornerstone-Investitionen bei britischen IPOs nur bis zur Londoner Börse (Main Market) vorgedrungen, was auf die oben genannten Vorteile und weiteren Faktoren zurückzuführen ist. Historisch gesehen gab es bei AIM-IPOs zwar Cornerstone-Investoren, diese wurden jedoch selten als solche auf dem Markt beworben und dienten stattdessen fast ausschließlich als Instrument zur Verringerung des Risikos beim Bookbuilding-Prozess. Ungeachtet des normalerweise geringeren Kapitalisierungswerts von AIM-Unternehmen (was einige größere Institutionen abschrecken könnte) und des Verlusts der Privatsphäre durch die öffentliche Bekanntgabe eines geplanten Börsengangs, bevor dies zwingend erforderlich ist, wird davon ausgegangen, dass es für AIM-Börsengänge Potenziale gibt, von der Popularität zu profitieren, die durch Cornerstone-Investoren erzielt wird. Das ermöglicht es selbstbewussten und größeren AIM-Antragstellern, eine klare, positive Botschaft an den Markt zu senden.

 

Längerfristig wird es interessant sein zu sehen, wie sich die Empfehlungen von Lord Hill’s UK Listing Review auf den aktuellen Cornerstone-Investment-Trend auswirken werden, da Lord Hill eine Überprüfung der IPO-Regeln für unverbundene Analysten gefordert hat, die dazu beitrug, den anfänglichen Anstieg der Cornerstone-Investitionen zu fördern. Wenn eine Überprüfung letztendlich die Marktpraxis der Veröffentlichung eines Registrierungsdokuments vor einem Prospekt aufhebt, wird dies wahrscheinlich den Anstieg der Cornerstone-Investoren bremsen, doch die Vorteile sind mittlerweile vom Markt erkannt worden, weshalb davon auszugehen ist, dass dieses Konzept weiterhin bestehen bleibt.